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Die Insolvenz und der Handelsvertreter
Corona löst mitunter Insolvenzen aus. Schon zuvor angeschlagene Unternehmen können jetzt endgültig Schiffbruch erleiden.
Was ist aber, wenn das Unternehmen, das Handelsvertreter beschäftigt, in die Insolvenz geht? Was ist mit dem Vertrag, den Provisionen und dem Ausgleichsanspruch?
Dazu erst mal etwas Ernüchterndes: Forderungen, die vor der Insolvenz entstanden sind, können im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldet werden. Dazu gehören grundsätzlich auch mögliche Provions- und Ausgleichsansprüche. Ob und in welcher die angemeldten Forderungen Erfolg bringen, prüft letztendlich der Insolvenzverwalter.
Wird ein Anspruch, z.B. nach § 89 b HGB, bereits vor der Insolvenzeröffnung geltend gemacht, stellt auch er eine Insolvenzforderung dar (§ 38 InsO). Damit darf der Anspruch nach § 89 b HGB nur nach Maßgabe der InsO erfüllt werden (§ 87 InsO). Auch dann gibt es üblicherweise eine „quotale Befriedigung im Wege der Schlussverteilung“.
Einige Verträge enden automatisch mit Eröffnung der Insolvenz. Dazu gehören auch Geschäftsbesorgungsverträge gem. §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO . Weil ein Handelsvertretervertrag ein Geschäftsbesorgungsvertrag ist, könnte er dann auch automatisch zu Ende sein.
Insolvenz des Unternehmers
Jedenfalls gilt: Wenn das Unternehmen in die Insolvenz gerät, geht auch der Handelsvertretervertrag zu Ende.
Insolvenz des Handelsvertreters
Wenn jedoch der Handelsvertreter in die Insolvenz geht, greift §§ 115, 116 InsO nicht. So sagt es das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 18.12.2009 unter dem Az I-16 U 160/09.
Der Erlöschungstatbestand des § 115 Abs. 1 InsO sei nach Ansicht des OLG nicht einschlägig. Hiernach erlöschen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur vom Schuldner erteilte Aufträge, die sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen und eine unentgeltliche Geschäftsbesorgung zum Gegenstand haben. Der Handelsverteter als Insolvenzschuldner erteilt keine Aufträge.
Auch erlösche der Handelsvertretervertrag nicht gemäß § 116 Satz 1 InsO, so das Gericht. Zwar wird dabei auch auf Dienst- und Werkverträge abgestellt, die eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand haben. Anwendbar ist § 116 InsO seinem Wortlaut nach aber nur im Falle der Insolvenz des Geschäftsherrn/Unternehmers. Die Insolvenz des zur Geschäftsbesorgung Verpflichteten führt jedoch nicht zur Auflösung des Vertragsverhältnisses nach dieser Vorschrift.
Fristlose Kündigung
Ob die Insolvenz des Handelsvertreters zur fristlosen Kündigung berechtgt, ist umstritten. Zu dem Thema allgemein wurde hier im Blog schon öfter geschrieben, z.B. über eine Entscheidung des Landgerichts Potsdam und des Landgerichts Frankfurt.
Ausgleichsanspruch
Die Insolvenz des Unternehmers führt übrigens nicht dazu, dass plötzlich der Ausgleichsanspruch erlischt. Der BGH entschied am 06.10.2010 unter dem Az. VIII ZR 209/07 ,dass es bei dem Ausgleichsanspruch nicht auf die Gründe der Vertragsbeendigung ankommt. Egal ist es auch, ob ein Handelsvertreter bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses überhaupt in der Lage gewesen wäre, Geschäfte zu vermitteln. Es ist also – rechtlich – auch egal, ob der Geschäftsbetrieb wegen Insolvenz eingestellt wird.
Wieviel man im Insolvenzverfahren letztendlich erhält, steht auf einem anderen Stern.
Dem Handelsvertreter ist zu empfehlen, umgehend den Ausgleichsanspruch geltend zu machen und auch als Insolvenzforderung anzumelden. In der Praxis geschieht es oft, dass der Handelsvertreter trotz der Eröffnung der Insolvenz seiner Tätigkeit weiter nachgeht und der Insolvenzverwalter damit einverstanden ist. Hierbei handelt es sich um ein neues Vertragsverhältnis, weil das alte Vertragsverhältnis mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden ist.
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Ausgleichsanspruch im Rotationsvertrieb
In einem Rotationsvertrieb arbeitet ein Handelsvertreter, der ständig in seinem Bezirk wechselt und dessen Kunden oft kurze Jahresverträge abschließen. Typisches Beispiel dafür sind Anoncen in Katalogen, wie den gelben Seiten, rechts und links der Autobahn oder anderen Serviceheften.
Der Bundesgerichtshof durfte vor vielen Jahren entscheiden, ob einem Vertreter, der auf Grund jährlich neu gezeichneter Verträge zwischen Bezirken pendelt , ein Ausgleichsanspruch zustehe. Der BGH bejahte dies auch bei sog. Rotationsverträgen (BGH, Urt. V. 19.05.1999, Az. VIII ZR 354/97).
Der Kläger warb damals als Handelsvertreter Kunden für Eintragungen unter anderem in Telefonbücher, Branchen- und Firmenhandbücher. Sein Handelsvertretervertrag hatte stets eine Laufzeit von einem Jahr und wurde jeweils verlängert.
Außerdem ergaben sich für den Kläger jeweils wechselnde Arbeitsbereiche im Rahmen eines sog. Rotationssystems.
Die vertragliche Konstellation sah der BGH als Kettenvertrag an. Die Nichtunterzeichnung des neuen Handelsvertretervertrages (mit dem auch noch eine Provisionskürzung verbunden war) sei nach Ansicht des BGH keine Eigenkündigung, die zum Ausschluss des Ausgleichsanspruchs führen könne. Es handele sich um Kettenverträge, die als einheitlicher Handelsvertretervertrag mit unbestimmter Laufzeit anzusehen seien.
Zur Höhe des Ausgleichsanspruchs stellte der BGH fest, der Unternehmer habe auch im Falle der Rotation Vorteile aus der Arbeit des Handelsvertreters gezogen, die ausgleichspflichtig seien. Der Bundesgerichtshof errechnete den Ausgleichsanspruch des Klägers aber nur anhand der letzten 12 Monate des Vertragsverhältnisses.
Das Oberlandesgericht Celle hatte in einer Entscheidung vom 1.2.2001 unter dem Az 11 U 110/00, einen Rotationsvertrieb betreffend, eigene Regeln für die Berechnung eines Ausgleichsanspruchs aufgemacht.
Es hatte zunächst eine Abwanderungsquote der Kunden von 20 % angenommen. Das Oberlandesgericht Celle hatte im Übrigen auch nur einen Prognosezeitraum von vier Jahren angenommen, statt wie üblich fünf.
Außerdem hatte – wie der BGH – das Oberlandesgericht als Ausgangszahl den Umsatz mit Neukunden aus dem letzten Vertragsjahr genommen. Neukunden früherer Vertragsjahre wurden nicht mit einbezogen.
Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass der Handelsvertreter jährlich in einem anderen Bezirk eingesetzt wurde. Das Gericht hatte den Handelsvertreter so behandelt ist, als hätte er bei Vertragsende in dem zuletzt bearbeiteten Bezirk verbleiben können.
Ob diese alten Entscheidungen heute noch Bestand hätten, ist fraglich.
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Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte kürzlich darüber zu entscheiden, ob ein Buchauszug auch im Wege der Teilklage eingeklagt werden darf. Es entschied zugunsten des Handelsvertreters.
Ein Handelsvertreterausgleichsanspruch kann auch im Wege einer Teilklage geltend gemacht werden.
Auch wenn der Handelsvertreterausgleichsanspruch im Vorprozess im Wege der „verdeckten Teilklage“ erhoben wurde, steht der Nachforderungsklage der Einwand der Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) nicht entgegen.
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1. Abrechnung über den Ausgleichsanspruch bindend
Das Landgericht Hamburg musste am 31.01.2019 darüber entscheiden, ob ein Unternehmen an seine eigene Berechnung des Handelsvertreterausgleichsanspruchs gebunden ist.
Das Unternehmen hatte einen unstreitigen Ausgleichsanspruch gleich zweimal abgerechnet. Zunächst berechnete es einen Betrag von in etwa 34.000,00 €. Dann gab es auf Grund eines Softwareproblems eine Nachberechnung kam dann auf nur etwas mehr als 26.000,00 €. Die Differenz von etwa 7.000,00 € hatte das Unternehmen dem Handelsvertreter als Minus verbucht.
Das Provisionskonto wurde auch nach Vertragsende weitergeführt. Dort wurde der angeblich zu viel gezahlte Betrag als Minus im Provisionskonto verbucht. Dagegen wehrte sich der Handelsvertreter. Er meinte, das Unternehmen sei an die erste Abrechnung gebunden.
Dies sah auch das Landgericht Hamburg in seiner Entscheidung unter dem Aktenzeichen 322 O 34/19 so. Die Beklagte sei hinsichtlich der Höhe des Anspruchs an ihre erste Abrechnung gebunden.
Dass das Softwareprogramm fehlerhaft war oder fehlerhaft bedient wurde, ist ein Unternehmensinternum der Beklagten, welches für den Handelsvertreter erst Recht nicht erkennbar war.
Auch wenn diese Abrechnung für die Beklagte noch nicht bindend gewesen sein sollte, so wurde sie es jedenfalls dadurch, dass der Handelsvertreter diese Abrechnung akzeptiert hat. Man habe sich also konkludent auf das Ergebnis dieser Abrechnung geeinigt.
Landgericht Hamburg, Urteil vom 12.03.2019, Aktenzeichen 322 O 34/19
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Franchisenehmer sind keine Handelsvertreter, oder doch? Zuweilen gibt es hier Missverständnisse. Vorwegzunehmen ist, dass Franchisenehmern teilweise gleiche Ansprüche, wie etwa der Ausgleichsanspruch, zustehen.
Handelsvertreter haben gemäß § 89 b HGB einen Ausgleichsanspruch, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Der Ausgleich ist erst seit 1953 im HGB verankert. Erstmalig wurden Handelsagenten (-vertreter) im HGB erwähnt, das am 01.01.1900 in Kraft trat. Teilweise wurden sie auch Handlungsreisende genannt. Wie die Bezeichnung hat sich auch das Berufsbild gewandelt.
Da das Berufsbild unklar war, wollte man auch nicht alles gesetzlich regeln. Mit 9 Paragrafen hatte das alte HGB alles geregelt. Schutzrechte des Handelsvertreters vor Benachteiligungen fanden zunächst überhaupt keine Rücksicht.
Handelsvertreter ist nunmehr gem § 84 HGB, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für andere Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.
Franchising ist ein vertraglich festgelegtes Geschäftsmodell, bei dem der Franchisegeber den rechtlich und finanziell selbständigen Franchisenehmer ein Geschäftskonzept nach seinen Vorgaben zu entgeltlichen Nutzung überlässt. Der Franchisenehmer ist damit kein Handelsvertreter.
Franchising-Unternehmen sind beispielsweise Ketten wie Subway, Esprit, McDonald`s und so weiter. Franchiser sind keine Filialen. Filialen gehören zum Unternehmen und sind lediglich wirtschaftlich unselbständige Hauptstellen.
Franchisenehmer kommen nicht selten auf die nachvollziehbare Idee, einen Ausgleichsanspruch zu fordern. Sie haben zwar nicht direkt darauf einen Anspruch, jedoch teilweise gemäß § 89 b HGB analog. Das Argument der Franchiser ist, dass die Interessenslage mit dem eines Handelsvertreters vergeichbar ist.
Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung einen „analogen“ Ausgleichsanspruch für Handelsvertreter bejaht, wenn sich das Rechtsverhältnis zwischen Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten
– nicht in einer bloßen Käufer- Verkäufer-Beziehung erschöpft, sondern der Händler in der Weise in die Abseitsorganisation des Herstellers des Lieferanten eingegliedert ist, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat und
– vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass diese Vorteile des Kundenstammes bei Vertragsende sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann.
Einen Ausgleichsanspruch für Franchisenehmer setzt also im einzelnen voraus:
- Der Vertriebsvermittler muss selbständig sein.
- Die vertragliche Beziehung zwischen Unternehmer und Vertriebsvermittler darf sich nicht in der reinen Verkäufer-Käufer-Beziehung erschöpfen.
- Der Vertriebsvermittler muss nach Gestaltung und Handhabung des Vertrages den handelsvertretertypischen Bindungen unterliegen.
- Durch Pflichten, wie sie in einer Verkäufer-Käufer-Beziehung nicht bestehen, muss der Franchisenehmer auf Dauer so in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert sein, dass er wirtschaftlich weitgehend einem Handelsvertreter vergleichbarer Aufgaben zu erledigen hat.
- Er muss den Absatz des Unternehmens laufend zu fördern haben, was im Zweifelsfall durch Werbung neuer Kunden sowie einen Ausbau bestehender Geschäftsbeziehungen zu geschehen hat.
- Spätestens bei Beendigung des Vertriebsvertrages muss die Überlassung des Kundenstammes an den Unternehmer durch Übermittlung der Kundendaten vorliegen, so dass dieser dessen Vorteile bei Vertragsende sogleich für sich nutzbar machen kann.
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Auskunft beim Ausgleichsanspruch
Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte sich im März 2019 mit dem Ausgleichsanspruch eines Vertragshändlers beschäftigen müssen.
Verklagt wurde eine Generalimporteurin für Fahrzeuge der Marke1 für Deutschland. Mit der Klägerin schloss sie einen Händlervertrag Pkw sowie einen Servicevertrag über die Marke1. Dieser Vertrag wurde gekündigt.
Der Vertragshändler verlangte die Rücknahme von Ersatzteilen bzw. Zahlung und Auskunft. Da sich der Ausgleichsanspruch nach den Unternehmervorteilen berechne und diese dem Händler unbekannt sind und von dem Importeur errechnet werden könnten, wurde die eingeklagte Auskunft darauf gestützt. Der Deckungsbeitrag (Rohertrag) einer Importeurin ergibt durch Abzug des Einkaufspreises vom Verkaufspreis. In dieser Hinsicht bekam der Händler in beiden Instanzen Recht.
Er verlangte noch Belege. Diese wurden ihm allerdings in beiden Instanzen aberkannt.
Die Importeurin wurde von beiden Instanzen zur Zahlung Zug und Zug gegen Rücknahme der Ersatzteile verurteilt.
Das erstinstantliche Urteil wurde vom OLG also in vollem Umfang bestätigt.
Die Ersatzteile mussten zurückgenommen werden, weil der Importeur nachvertraglich zur Treue verpflichtet sein. Der daraus hergeleitete Rücknahmeanspruch beschränkt sich nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 20.07.2005, VIII ZR 121/04) auf Warenbestände, deren Abnahme und Lagerung durch den Eigenhändler im Interesse ordnungsmäßiger Vertragserfüllung geboten war. Der klagende Händler kann so die Folgen seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Importeur, nicht auch das Risiko darüber hinausgehender eigener unternehmerischer Entscheidungen, auf diesen abwälzen.
Ob der Händler einen Auskunftsanspruch hat und ob ihm überhaupt Ausgleichsansprüche zustehen, war vom Gericht zunächst zu prüfen. Denn Ausgleichsansprüche stehen gem. § 89 b HGB nur Handelsvertretern zu. Ein solcher war der Vertragshändler nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die auf Handelsvertreter zugeschnittene Bestimmung des § 89b HGB auf einen Vertragshändler entsprechend anzuwenden, wenn sich das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Hersteller oder Lieferanten nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpft, sondern der Vertragshändler so in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten eingegliedert ist, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hatte, und der Händler zum anderen verpflichtet ist, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (BGH, Urteil vom 06.10.2010 – VIII ZR 209/07 zum Kfz-Vertragshändler). Das OLG meinte, dass allein entscheidend sei, ob der Kfz-Vertragshändler wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert ist und einen von ihm für den Hersteller neu geworbenen sowie an den Hersteller zu überlassenden Mehrfachkundenstamm aufbaue.
Dies sah das OLG als erfüllt an.
Maßstab für § 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB sind die Unternehmervorteile. Diese sind nach der Neufassung des § 89b Abs. 1 HGB nicht mehr durch die Höhe der Provisionsverluste des Handelsvertreters beschränkt. Deshalb hat sich der Händler auch nicht damit abzufinden, dass er die Berechnung doch anhand der Verluste vornehmen könne, wie es die Beklagte behauptet hatte. So hatte das OLG Frankfurt auf ein Urteil des OLG Düsseldorf Bezug genommen, das einen Auskunftsanspruch abgelehnt hatte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.01.2017 – 16 U 171/15).
Da die Klägerin über eine entsprechende Kenntnis der Unternehmensvorteile nicht verfügt, steht ihr der Auskunftsanspruch zu. Mit dieser profanen Begründung wurde der Auskunftsanspruch durch das OLG Frankfurt bestätigt.
Beim Einsichtnahmerecht in Belege entschied das OLG Frankfurt im Ergebnis anders als das OLG Düsseldorf. Zwar kann nach § 810 BGB und aus § 242 BGB ein Vorlageanspruch von Urkunden bestehen. Unter Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Belange gebe es in Frankfurt ein berechtigtes Interesse an einer derartigen Urkundeneinsicht nicht. Der Anspruch setze nämlich voraus, dass die Einsicht zur Förderung, Einhaltung und Verteidigung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt wird. Das OLG Düsseldorf hatte das bejaht, weil bereits zuvor erteilte Auskünfte lückenhaft waren. Der Auskunftsverpflichtete war in Düsseldorf trotz entsprechender Hinweise zur Erteilung einer erschöpfenden Auskunft nicht bereit. Dies war allerdings in Frankfurt nicht der Fall, so dass das Einsichtnahmerecht vom OLG Frankfurt abgelehnt wurde.
Urteil des OLG Frankfurt vom 13.03.2019 Az 12 U 37/18
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Nachträgliche Kündigungsgründe führen nicht zum Verlust der Ausgleichsansprüche
Gemäß § 89 b HGB kann dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch zustehen. Gemäß Abs. 3 Ziff. 2 ist dieser Anspruch ausgeschlossen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag.
Diese Voraussetzung soll jedenfalls dann erfüllt sein, wenn das Unternehmen eine wirksame und berechtigte fristlose Kündigung wegen Vertragsverletzung ausgesprochen hat.
Was ist aber, wenn das Unternehmen eine solche fristlose Kündigung nicht ausgesprochen hat, sie aber hätte aussprechen können, wenn sie von ihren Rechten gewusst hätte?
Darüber hatte der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 16.02.2011 unter dem Aktenzeichen VIII ZR 226/07 zu entscheiden. Der Bundesgerichtshof wandte sich dazu an den Europäischen Gerichtshof, welcher mit Urteil vom 28.10.2010 unter Bezugnahme auf Artikel 18 a der Richtlinie 86/656/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter wie folgt ausführte:
„Die Richtlinie lässt es nicht zu, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrages und vor Vertragsende stattgefunden hat und dass eine fristlose Kündigung des Vertrages gerechtfertigt hätte“.
Kurzum: Nur dann, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht, ist der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen. man kann § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB auch nicht analog anwenden, wenn der Tatbestand tatsächlich nicht in vollem Umfang vom Gesetzt umfasst wird. Der Bundesgerichtshof hatte damit grundsätzlich den Ausgleichsanspruch bejaht.
In diesem Fall hatte sich das Unternehmen darauf berufen, dass einem Vertragshändler gekündigt wurde, und im Nachhinein festgestellt wurde, dass sich dieser Zuschüsse verschafft hatte, die ihm vertraglich nicht zugestanden hätten und dies zur fristlosen Kündigung berechtigt hätte, wenn es dem Unternehmen vor Beendigung des Handelsvertrages bekannt geworden wäre.
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Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies am 26.05.2017 die Klage eines Versicherungsvertreters auf einen Ausgleichsanspruch ab. Unter dem Aktenzeichen 16 U 61/16 hob es eine anderslautende Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf auf.
Das OLG meinte, der Versicherungsvertreter sei nebenberuflich tätig, weshalb der Ausgleichsanspruch gem. § 89 b) HGB nach § 92 b) Abs. 2, Satz 1, Abs. 5 HGB entfalle. Der klagende Versicherungsvertreter war eben nicht nur als Versicherungsvertreter tätig. Das Gericht meinte deshalb, dass er nur nebenberuflich arbeitete. Es komme grundsätzlich auf den Einzelfall an. Wenn ein Handelsvertreter nur nebenberuflich beschäftigt ist, und tatsächlich hauptberuflich tätig war, trägt er die volle Beweislast für die Hauptberuflichkeit.
Hier gab es einen schriftlichen Vertrag, wonach der Kläger haupt beruflich tätig sein sollte. Dennoch sah ihn das Gericht als Nebenberufler an.
Ein Vermittler nur dann hauptberuflich tätig sein, wenn er überwiegend als solcher tätig ist und aus dieser Tätigkeit auch den überwiegenden Teil seines Arbeitseinkommen bezieht (Übergewichtstheorie). Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, ist er Hauptberufler. Abgrenzungsmerkmale sind die Zeit und das Entgelt, wobei das Zeitelement mehr wiegt. Ein Handelsvertreter kann ja theorezisch auch ohne Einkommen Handelsvertreter sein.
Der Student, die Hausfrau, der Beamte oder der Rentner, der nach Feierabend noch etwas vermittelt, um noch eine kleine Nebeneinnahme zu erzielen, macht dies im Nebenberuf, so das OLG.
Nach diesen Abgrenzungskriterien hatte das OLG den klagenden Versicherungsvertreter als Nebenberufler angesehen. Er hatte angeblich nicht ansatzweise vorgetragen, in welchem zeitlichen Rahmen er für die Beklagte tätig war.
Des Bundesgerichtshofs hatte in einem ähnlichen Fall mit Urteil vom 04.11.1998, Aktenzeichen VIII ZR 248/97, einen Ausgleichsanspruch zugesprochen. Dort hatte der Kläger jedoch ein Kundendienstbüro mit festen Bürozeiten und einer festgelegten Erreichbarkeit für seine Kunden betrieben. Allein aus diesem Zeitumfang ergab sich der Hauptberuf.
Der Ausgleichsasnpruch wäre auch ausgeschlossen, weil eine fristlose Kündigung des Versicherungsunternehmens gem § 89 a HGB wirksam war. Das hatte auch schon das Landgericht so gesehen. Der Versicherungsvertreter hatte einen Versicherungsantrag auf Abschluss einer Lebensversicherung eingereicht, welcher von dem Bruder des versicherungsnehmers, nicht jedoch von dem Versicherungsnehmer persönlich unterschrieben war. Der Versicherungsvertreter soll dies gewusst haben, er handelte nach der Auffassung des OLG mit Vorsatz.
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BGH rettet die nachvertragliche Dynamikprovision
Einen gedanklichen Schlussstrich hat der Bundesgerichtshof gesetzt, als er am 20.12.2018 unter dem Aktenzeichen VII ZR 69/18 grundsätzlichen allen Versicherungsvertretern dynamische Lebensversicherungen auch nach Vertragsende zusprach. Im Handelsvertreterblog wurde bereits auf diese bahnbrechende Entscheidung hingewiesen.
Ein Versicherungsvertreter klagte auf Erteilung von Provisionsabrechnungen für von ihm vermittelte dynamische Lebensversicherungen. Der Consultant-Vertrag, so hieß der Handelsvertretervertrag, war beendet. Der Kläger betreute weiterhin die Versicherungsverträge.
Diese sahen regelmäßig während der Laufzeit eine Erhöhung der Beiträge und Leistungen vor (so genannte Dynamik), so lange der Versicherungsnehmer nicht widerspricht. Während des Bestehens des Handelsvertretervertrages bekam er monatliche Abrechnungen und die Dynamikprovisionen wurden regelmäßig gutgeschrieben. Nach Vertragsende war damit Schluss. Der Consultant klagte auf Rechnungslegung.
Der Bundesgerichtshof verwies auf §§ 92 und 87 HGB. Dabei habe ein Versicherungsvertreter Anspruch auf Provision nur für die Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind. Dabei entspreche es der Eigenart der dynamischen Lebensversicherungen, dass Erhöhungen bereits mit Anschluss des Versicherungsvertrages als vereinbart anzusehen sind. Dem Versicherungsnehmer stehe lediglich ein Widerspruchsrecht zu.
Damit sei die Erhöhung der Versicherungssumme nicht von einer werbenden Tätigkeit eines Dritten abhängig. Die Erhöhung der Versicherungssumme entsteht automatisch immer dann, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspricht.
Der Bundesgerichtshof verwies im Übrigen auf Entscheidungen, z.B. die des Oberlandesgerichtes Köln mit Urteil vom 28.11.2014 unter dem Aktenzeichen 19 U 71/14 und einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Nürnberg mit Urteil vom 10.09.2003 unter dem Aktenzeichen 12 U 806/03 (letzteres hatte anders entschieden).
Der Bundesgerichtshof sah darin auch keinen Widerspruch zu dem Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b Abs. 5 HGB. Soweit dem Vermittler gemäß § 92, § 87 HGB Abschlussprovisionen zustehen, tritt kein Provisionsverlust ein, der etwa für den Ausgleichsanspruch zu berücksichtigen wäre. Insgesamt bestehe kein Grund, die Beschränkungen des § 89 b Abs. 5 HGB auf vom Versicherungsvertreter gemäß § 92, § 87 HGB zu beanspruchende Abschlussprovisionen, die nach Beendigung des Vertrages fällig werden, zu erstrecken.
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Der Handelsvertreter ist endlich raus. Nach vielem Ärger bekam er endlich den Aufhebungsvertrag. In der Hoffnung, endlich Ruhe zu haben, wurde der Vertrag kurzerhand unterschrieben und zurückgeschickt.
Gelesen wurde der Vertrag nur oberflächlich. Der erste Ärger kam schnell, als ein Kollege sagte, der Aufhebungsvertrag sei einseitig. Er habe jetzt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, eine Vertragsstrafe im Falle des Verstoßes, Geld bekomme er für die Zukunft keines mehr, aber dafür dürfe er noch lange haften, für Provisionsvorschüsse und Beratungsfehler. Außerdem habe er ja auf Ansprüche aus einem Versorgungswerk verzichtet. Schnell wird er Beratungstermin mit dem Anwalt gemacht, in dem bestätigt wird, dass der Vertrag – außer das schnelle Ende – nur Nachteile für den Handelsvertreter enthalte. Und ein Ausgleichsanspruch sei aufhebungsvertraglich auch noch ausgeschlossen.
Aber anfechten wolle er dann, woraufhin der Anwalt entgegenete, das ginge nur bei Irrtum, Drohung oder Täuschung und all das lege nicht vor. Aber er habe sich doch geirrt, meinte der Handelsvertreter, weil er die Rechtsfolgen nicht überblicken konnte. Der Irrtum über die Rechtsfolgen sei schon seit einer Rechsgerichtsentscheidung als Motivirrtum zu werten, so der Anwalt, der normalerweise unbeachtlich ist und keinen Raum für eine Anfechtung gibt.
Dann jedoch könne er widerrufen, glaubte bis dato der Handelsvertreter. Seit das Haustürwiderrufgesetz gegolten hat und nunmehr die Regelungen in §§ 312 ff BGB zu finden sind, gibt es die Möglichkeit des Widerrufs.
Jedoch auch hier geht der Handelsvertreter wohl rechtlos aus. Das Bundesarbeitsgericht entschied am 7.2.2019 unter dem Az 6 AZR 75/18, dass ein Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag nicht widerrufen könne.
Das „Haustürwiderrufsrecht“ nach den §§ 312 ff. BGB a.F. stelle vertragstypenbezogenes Verbraucherschutzrecht dar und würde nur auf „besondere Vertriebsformen“ Anwendung finden, nicht jedoch auf Verträge, die wie der Arbeitsvertrag und der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag keine Vertriebsgeschäfte sind. Daran soll sich auch durch den neu gefassten § 312 g BGB nichts ändern, wonach Verbrauchern nunmehr „bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“ ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zustehe. Die vom BAG zur bisherigen Rechtslage aufgestellten Grundsätze sind nach Auffassung des BAG auch auf Aufhebungsverträge und den neuen § 312 g BGB übertragbar. Ein Arbeitsnehmer könne danach nicht widerrufen.
Wenn schon bereits Arbeitnehmer nicht widerrufen können, steht den Handelsvertretern wohl erst recht keine Widerrufsrecht zu. Schließlich ist der Handelsvertreter selbständig und vom Gesetz weniger geschützt.
Dennoch gibt es nach der Entscheidung des BAG zumindest für Arbeitnehmer eine zarte Hoffnung. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen müsse noch prüfen, ob das Gebot des fairen Verhandelns beachtet worden sei. Dieses Gebot stelle eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht dar. Wenn z.B. der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers über den Abschluss des Aufhebungsvertrages erheblich erschwert, würde er dagegen verstoßen. Das könnte dann der Fall sein, wenn jemand krankheitsbedingt den Aufhebungsvertrag, wie in dem Fall des BAG, unterschreibt.
Der Arbeitgeber müsse für den Fall des Verstoßes Schadensersatz leisten und den Arbeitnehmer so stellen, als wäre der Aufhebungsvertrag nie unterschrieben worden.
Dieser Grundsatz des Gebotes des fairen Verhandelns hat in dieser Form im Handelsvertreterrecht bisher keine Berücksichtigung gefunden. Da jedoch der BGH in neueren Entscheidungen eine gewisse Schutzbedürftigkeit für abhängige Handelsvertreter betont hat, und zumindest bei der Frage von Kündigungsfristen die Abhängigkeit eines Handelsvertreters mit dem eines Arbeitnehmers verglichen hat, könnte auch dieser Grundsatz hier bald mal eine Rolle spielen.